07.01.2008

Für immer missbraucht

von Bernd König-Weissenberger


Haben Sie sich schon mal zu einer bestimmten Musik verliebt? Zu harter Gitarrenarbeit pubertiert oder Teller geschmissen? Denken Sie manchmal an den Soundtrack eines ganzen Sommers zurück der einen selber und Freunde begleitet hat. Ich schon, denn Musik begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Ich kann nicht sagen warum und will es auch nicht wissenschaftlich erläutert bekommen was diese süßen Töne, rauhen Klänge von Air bis Zappa mit mir anstellen. Ich genieße dumm und glücklich.

Ja, Genuss! Musik ist ein Genuss. Deswegen möchte ich auch nicht von Radiomoderatoren gestört, durch schlechte Coversongs genervt oder Musik für Gehörlose hören (z.B. Eurotrash, Ethno- bzw. Weltmusik oder Klingeltonhits). Aber am schlimmsten ist es, ja am schlimmsten, wenn ich durch Zufall mitbekomme wie irgendwelche Werbepenner meine geliebte oder wenigstens gute Musik für Claims, Soundbrands, Spots, Testimonial Approaches und was auch immer ausnutzen um durch Wiedererkennung einen Schokoriegel, oder Waschmittel in die Verbraucherköpfe gleiten zu lassen.

Wollt ihr den totalen Sound? Schon der Reichspropagandamister Joseph Goebbels (ein früher Werbepapst, der mit seinen Bildern lange vor Oliviero Toscani so richtig schockte) sagte 1933 "Das ist das Geheimnis der Propaganda: den, den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne dass er überhaupt merkt, dass er durchtränkt wird." Und das ist der Kern der noch heute in der Idee steckt. Wenn zum Beispiel aus Linda Ronstadts "It`s so easy (to fall in love)" It's so easy with "alltours" wird, frage ich mich echt was diese Werber geritten hat. Auf immer und ewig vervollständigt sich jetzt der Werberefrain in meinem Kopf wenn ich das Original höre. War es das, was sie wollten? Aber ich buche deswegen jetzt keinen Urlaub, ich weigere mich sogar weiter herauszufinden was der beworbene Werbekunde macht. Ich will die nicht kennen. Warum? Weil ich mich nicht goebbelsmäßig überrumpeln lassen will. Bei mir löst der Werbeclou, der wohl gang und gäbe ist (dazu später mehr) eine Abwehrhaltung aus. So ganz automatisch wie der Song ins Ohr rein ist, zack Antipartie raus. Jedes andere Medium lässt es zu wegzusehen, umzublättern, zu reagieren. Aber, man ahnt ja nichts Schlimmes und ganz schnell bahnt sich ein neuer schleimiger Werbe-Ohrwurm durch das Gehirn. Das ist so unfair wie Waterbording!

Aber es gab ja auch andere Zeiten. Soweit ich mich erinnere hat damals Levi`s Jeans viele Sympathien (und vermutlich auch Käufer) auf ihre Seite gezogen. Sie waren total "up to date" und wählten die richtige Musik, ob alt oder neu, zu ihren relativ aufwändigen Werbespots aus. Was sogar zu ganzen Musik-Samplern und der Assoziation führte, dass blaue Hosen und Musik direkt in einem Zusammenhang stehen. War nicht weiter schlimm damals. Außer, dass ich bis heute "One-Hit-Wonder" Babylon Zoo hasse und außerdem doch lieber andere Songs von Steve Miller als "The Joker" höre. Ach, ja und Levi`s saßen bei mir damals schon so tight, dass eine 501 nie in Frage kam. Das zum Theme Werbewirksamkeit in meinem Fall.

Nun, heute sieht die Sache aber etwas anders aus. Statt den 5 Mio. Dollar Clip mit Originalsongs von großen Künstlern zu versüßen, scheinen heute die ständig klammen, nach ADAC Nägeln gaffenden Werber zu sparen wo sie können. Im Fall von Linda Ronstadt kann es ja sogar noch einiges gekostet haben aus der eigentlich "ganz süßen" Zuckernummer einen knallharten "Goebbels glide" gemacht zu haben. Aber da fallen mir in der letzten Zeit immer wieder Stücke auf, die nur ein paar Noten vom Original entfernt, so ähnlich klingen wie etwas das man kennt. Oder das nur Werber kennen können. Diese umgarnen ja bekanntlich Jugendkultur, sind hip und trendy, lesen Spex und Intro und leben in einer massenmarktfernen Welt der höchsten intellektuellen Genüsse. Sind sich keiner Schuld bewusst. Und eben daher kennen Sie auch die Songs die tagein tagaus verstümmelt in meinem Kopf landen sollen. Zum Beispiel noch unbearbeitet lief mal für t-online ein Strokes Song in der Werbung (Die Jungs haben wahrscheinlich sogar Geld gesehen), Nivea hat sich Bei Air – All I need bedient.

Aber richtig schlimm ist es im Fall von Mars Delight. Da erkennt man während sich die Schokolade eimerweise auf eine Keksmasse ergiesst die Fragmente von Portisheads "only you". Der Super-Gau. Hier und da ein paar Noten vertauscht, aber im großen und ganzen ist es der Song geblieben. Und ich vermute dass es sogar rechtlich hinfällig ist, da, nach Noten beurteilt, der Song zu stark verändert wurde. Hätte oder hat die Band zugestimmt? Ich glaube nicht. Ein weiterer Fall: Supergrass. Auch eine Band mit der ich sehr wohl einen ganzen Sommer verbinde. Ich denke an Jugend, Freunde und Freiheit. Aber jetzt denke ich auch an diese enthemmte Frau, die in der Werbung zu einer modifizierten Version von "alright" tanzt und für Kinderriegel ihr wahnsinniges Grinsen hergibt. Hier wurde statt "we were young, we were free" einfach we were young AND so free" gesungen und um ein paar Töne verschoben komponiert und fertig war das 1A rip-off. Ob das der Band gefällt?

Dabei fällt mir ein, dass Dennis Lyxzén, selbsternannter schwedischer Kommunist und Sänger der International Noise Conspiracy, in einem Interview zur Auflösung seiner genialen Band Refused sagte, dass dem Quintett der Todesstoss und damit das endgültige Aus verpasst wurde, als Sie ihren Song "New Noise" im amerikanischen Werbefernsehen ohne eigene Zustimmung hören mussten. Ein Rechtsstreit wäre in seinen Augen aus Kostengründen zu aufwändig und aussichtslos gewesen.

Und so hat wohl auch er als klügerer nachgegeben und macht auf seine Weise auch Werbung. Nämlich für den schwedischen Kommunismus. Nur dass er wohl weiß, dass die meisten Leute nicht wegen seiner Propaganda zu den Konzerten kommen. Sondern wegen der Musik. Und das ist okay für ihn. Ich bin gern da und genieße dumm und glücklich.

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und schon wieder so einer, der Propaganda mit Werbung gleichsetzt. Goebbels und der totale Krieg darf auch nicht fehlen. Klar.

Hier mal ein paar Aufklärungen von jemanden, der sich schon mal um Mucke für TV-Spots gekümmert hat:

1. Alltours bis Bacardi ("feeeeling") haben ihre Adaptionen alle bezahlt und vorher artig um Erlaubnis gefragt.
2. Entscheiden tut das der Komponist (sofern er die Rechte nicht für viel Kohle seiner Plattenfirma oder Michael Jackson verkauft hat)
3. Der Interpret (heute meist nicht mehr auch Komponist) verdient da nix dran, da man den Song dann nachsingen lässt um nicht die Leistungsrechte auch noch zu zahlen. Macht ja auch Sinn bei Alltours, wenns einen neuen Text gibt.

Zwischenfazit: Wenn du die Original-Musik deiner Lieblinge im TV hörst, hat da jemand für bezahlt und deine Helden koksen einen Tag später schon mit einer Edelnutte im neuen Auto.

4. Man kann Musik auch nachkomponieren lassen. Das ist ein Problem der Trennschärfe. So wie überall in der gestaltenden Kunst.
5. Wenn also Refused ihren Song im Spot gesehen haben und behaupten, sie hätten keine Chance gehabt, dann liegt das wohl daran, dass es ein gängiges Picking auf der Gitarre war. Beim Original hätten sie richtig abkassiert und der Spot wäre sofort vom Sender gegangen. Ein ähnliches Problem kann bei Portishead auftreten, die zwar nur sich selbst samplen, aber dieser Sound mit Blick auf die 50er auch nicht gerade neu ist.

Zwischenfazit:
Es gibt gestalterische Möglichkeiten, die von vielen Bands und auch (Schande!) von werbungstreibenden Unternehmen genutzt werden.

6. Das ganze Geheule bringt nix. Man sollte sich freuen, wo die Band Kohle gemacht hat oder erst durch die Werbung wie im Fall 2raumwohnung existiert. Supergrass haben für Calippo genau so kassiert wie Goldfrapp bei TUI. Dass die Dandy Warhols dank Vodafone, David Bowie und die Rolling Stones dank Microsoft durch eine weltweite Schaltung ihrer Originalstücke noch mehr richtig reich geworden sind, ist ihr gutes Recht und der Beleg für gute Musik.

Ob sie sich als Komponist verkaufen, ist Sache der, genau, Komponisten. Und da muss man mal aufhören mit dem Ideal einer unkommerziellen Künstlerszene. Die gabs auch nicht im Kommunismus.

Anonym hat gesagt…

Okay, habe verstanden. Man muss nur nett fragen und bezahlen und die Welt ist in Ordnung. Ich hör lieber weiter Musik. (Nicht 2Raumwohung, die Machen mir zuviel totale freie Liebe)

Anonym hat gesagt…

Das ist der Punkt, Bernd. Du konsumierst Musik. Du machst aber keine. Das ist natürlich einfach.

Anonym hat gesagt…

Weit gefehlt Tim. Ich mache schon seit langem selber Musik… Kann aber sehr wohl hören als auch selber machen. Und einfach ist das alles nicht. Ach ja, ich nenne es nicht konsumieren wenn es um Musik geht, das klingt als wäre ich einer von Star Trek (Borg, Data) oder den Wirtschaftsweisen. Muss ja nicht alles gut finden was mir so passiert.

gedankenpingpong hat gesagt…

Liebe Freunde des gedankenpingpong, bevor es weiter geht, besinnt euch bitte auf die Wurzeln dieses Spiels.
Und vor allem auf die beiden Hauptpfeiler Liebe und Konstruktivität.

Euer Pingpong-Guru

Anonym hat gesagt…

Ist doch nur ne schnelle Runde sexy sadie…

Anonym hat gesagt…

Ich vertrete hier die Liebe in einem Blog voller Aufreger und Aggro-Attitude. Insofern kannst du es statt Konsumieren auch gern Goebbeln nennen.
Jetzt warten wir einfach mal ab, bis ein Unternehmen dir sehr viel Geld für deinen kreativen Output (callitwhatuwill) gibt und ob du dann auch noch der krasse Motherfucker des NoCommerce bist.

Ich würde natürlich auch den Oscar ablehnen und so. Is klar.

gedankenpingpong hat gesagt…

1) Hier lehnt keiner einen Oscar ab, damit das klar ist. Außer er heißt Lafontaine mit Nachnamen.
2) Was hat der Oscar damit zu tun?
3) Es geht hier auch nicht um NoCommerce.
4) Hier nennt bisher niemand Konsumieren Goebbeln.
5) Was hast du für ein Problem mit meinem Blog? Und wo vertritts du denn hier Liebe?

Anonym hat gesagt…

Was passiert denn wenn Werbung zu Kunst wird und die Grenzen zwischen Konsum und Kunst plötzlich verwischen? Bestes Beispiel für eine solche Inszenierung ist für mich der großartige Sony Bravia Spot.

Musik dient hier als mediales Gestaltungsmittel und korrespondiert mit Farbe und Form in einer orchestralen Inszenierung. Möglichkeiten für eine solche Umsetzung bietet nur die Werbung.
Schließlich stellt Sony dafür die finanziellen und organisatorischen Mittel zur Verfügung, welche in der freien Kunst zumeist fehlen um Projekte in der Größenordnung umzusetzen und auf Zelluloid zu bannen.

Endfazit: Werbung darf also nicht auf plumpe deutsche Spots Marke Alltours reduziert werden. Es gibt tatsächlich einige großartige Beispiele für Werbung, die an der Grenze zur Kunst nicht nur kratzt sondern sie sogar geradewegs überschreitet und dabei musikalisch auf allerhöhstem Niveau bleibt.

gedankenpingpong hat gesagt…

Der Beitrag kritisiert ja nicht grundsätzlich die Verwendung von Musik in Werbung. Levi's wird ja sogar gelobt. Die Kritik richtet sich gegen die Verunstaltung von Musik durch umkomponieren und umtexten, zwecks schlechter Werbeclaims.

Anonym hat gesagt…

Und genau das geschieht mit Einverständnis der Künstler.

Also wird sich hier über die Lieblingsbands aufgeregt. Warum nur?

Anonym hat gesagt…

Ich habe gerade heute ein Beispiel in einer Neil Young Biographie gelesen, bei der Hey Hey My My unerlaubter Weise mit einem Neil Young Double als Spot für eine Jeans Werbung (LEE Jeans) benutzt wurde. Ich glaube nicht, dass immer um Einverständnis gefragt wird, es sollte im besten Fall so sein. Und wie wir wissen geht es in der freien Wirtschaft nicht immer mit "rechten Dingen" zu. Ich spreche aus beruflicher Erfahrung, was Bildrechte, Schriftlizenzen etc. im Alltag angeht. Wird bei Musik nicht anders sein (s.o.)

Und wenn ein Künstler damit Geld verdient ist es seine Sache und voll okay. Dass ich solche Songs die verunstaltet werden nicht hören möchte ist eine andere Sache und da liegt – nicht Meine Kritik – aber meine Unzufriedenheit. (Das ganze hat auch nichts mit lauter "Aggro-Leuten" und "motherfuckern des no commerce" zu tun). Hier spricht der Musikliebhaber und nicht der politisch engagierte.

Sehr richtig, der Beitrag schließt nicht aus, dass Werbung kreative Ideen und fast künstlerische Resultate hervorbringt. Nicht umsonst verschwimmen die Grenzen oft zwischen Kunst und Design, auch im Werbespotbereich (Bsp. Chris Cunningham). Aber leider werden solche Sachen auch oft nur für Awards (oder im Ausland) produziert und laufen eben nicht im deutschen TV rauf und runter.

Ich denke man muss nicht alles dulden, oder gut heißen, weil es im Prinzip rechtlich einwandfrei ist.(Sonst ändert sich ja vom Niveau nichts) Und kulturell gesehen hat die deutsche Werbeindustrie in der breiten Öffentlichkeit wirklich nicht viel zu bieten…